Drei Familien aus Israel sind zu Gast in Nieder-Gemünden.
(aus Oberhessische Zeitung, 23.10.2018)
Drei Familien aus Israel konnten Bürgermeister Lothar Bott und der erste Beigeordnete Eckhard Kömpf am Rathaus begrüßen. Die Familien besuchten unter anderem NiederGemünden, da von dort ihre Vorfahren stammten. Bevor an diesem Tag zum Gedenken an ihre Verwandten in Homberg drei Stolpersteine verlegt wurden, nutzte man die Gele genheit, um einen historischen Spaziergang durch die Heimat der Vorfahren zu machen.
Die Reise selbst fand auf Initiative von Irit Joseph statt, deren Großmutter Lilli in NiederGemünden geboren wurde.
Die Reise selbst fand auf Initiative von Irit Joseph statt, deren Großmutter Lilli in NiederGemünden geboren wurde. Irit Joseph hatte schon vor zehn Monaten mit den Städten Homberg und Alsfeld Verbindung aufgenommen, um die Vorbereitungen für die Verlegung der Stolpersteine in Homberg abzusprechen. Dabei wurde sie auch auf das Gemeindearchiv in Gemünden aufmerksam gemacht, dessen Mitarbeiter Roland Albert die entsprechenden Nachforschungen übernommen hatte. Ein reger EmailVerkehr brachte dabei auch dem Gemeindearchiv neue Erkenntnisse, wie Roland Albert betonte. So wurden beispielsweise alte Fotografien ausgetauscht und zugleich auch die darauf zu erkennenden Personen identifiziert. Die Route des zweistündigen Spaziergangs in NiederGemünden wurde anhand der alten Hypotheken und Brandversicherungsbücher des Archivs erstellt und ins Englische übertragen. Auf diese Weise entstand für die Besucher ein umfassender und zugleich sehr ergreifender Rückblick in ihre Familiengeschichte.
Im Anschluss stand zunächst allerdings ein Besuch der evangelischen Kirche in Nieder-Gemünden auf der Agenda, wobei dieser Besuch auf eine eher spontane Entscheidung zurückzuführen war. Pfarrerin Ursula Kadelka ermöglichte die Besichtigung der Kirche. Dabei kam es zu einer Überraschung, da Michael Neuhaus, der seinen Zivildienst in Israel abgeleistet und dort die Schwester von Irit Joseph geheiratet hatte, Sohn eines Pfarrers war und von daher den Familienmitgliedern die ganze Liturgie und den Kirchenaufbau in ihrer Muttersprache erläutern konnte. Die Großmutter von Irit Joseph, so erinnerte man sich, hatte immer im Zusammenhang mit Nieder-Gemünden von einem großen, schönen und hellen Gotteshaus erzählt. Erstaunlich auch für die deutschen Gastgeber, dass die israelischen Gäste sehr viel aus den Erzählungen der Großmutter mitgebracht hatten und insofern über umfangreiches Wissen zu der früheren Heimat verfügten. „Da kann man nur staunen, was die Leute alles wissen und sehen wollen“, betonte Roland Albert. Habe doch die Oma beispielsweise davon erzählt, dass von der Kirche ein kleiner Weg zur Schule führte. Genau diesen konnte Roland Albert zeigen. Beeindruckend auch der Brühlweg, früher im Volksmund Judengasse genannt, der schon im vergangenen Jahr von einer Familie aus Israel besucht worden war. Hier standen die meisten jüdischen Häuser und auch die kleine Synagoge, die so allerdings heute nicht mehr existiert. Insgesamt konnte Albert den israelischen Gästen zwölf Häuser, beziehungsweise Grundstücke zeigen, die einst von Juden bewohnt und teilweise auch gebaut worden waren. Nieder-Gemünden hatte im 19. Jahrhundert, berichtete Albert, etwa 100 jüdische Bürger, wobei der erste Jude nach aktuellen Erkenntnissen 1701 erwähnt wurde. Auf entsprechendes Interesse bei den Gästen stießen das Backhaus und die Informationen zur Organisation des Backens innerhalb der Dorfgemeinschaft. Nach dem Besuch der alten Schule und der Feldabrücke, wo einige alte Fotos entstanden waren, folgte der eigentliche Höhepunkt des Aufenthaltes in Nieder-Gemünden. Dies war unzweifelhaft der Besuch im Geburtshaus von Großmutter Lilli. Dort kam es zu sehr emotionalen und zugleich ergreifenden Szenen, zumal Roland Albert noch alte Fotos mit der Großmutter im Archiv gefunden hatte und diese dort den Gästen präsentieren konnte.
Lilli Jacob, so hatte Albert umfassend recherchiert, entstammte der zum Großteil in Nieder-Gemünden ansässigen Familie Jacob. Sie wurde 1893 in „Bündingshaus“, heute Alsfelder Str. 7, geboren und wuchs dort mit Schwester Flora und Bruder Wilhelm auf. Vater Hermann war Kaufmann. Sie heiratete später den Kaufmann Adolf Weihl aus Homberg, wo sie auch bis in die 1930er Jahre lebte. Die Zeichen der Zeit erkennend, meldeten sich die Jacobs und die Weihls rechtzeitig ab, wanderten ins damalige Palästina aus und überlebten so die Verfolgung.
Im Anschluss an die ergreifenden Stunden in Nieder-Gemünden fuhren die Familien nach Homberg, um an der dort vorbereiteten Zeremonie teilnehmen zu können.